HEAVEN ON EARTH

Gaby Ludwig
· HEAVEN ON EARTH

Installation im Projektraum der Galerie Smend · Juni 2021


Gaby Ludwig mit HEAVEN ON EARTH im Juni 2021; Foto: © Rendel Freude

 

Auf ihrer Italienrundreise im Jahre 2019 besuchte Gaby Ludwig auch die Uffizien in Florenz. Die Installation Gaby Ludwigs HEAVEN ON EARTH ist inspiriert von den Grotesken in den Uffizien aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, wo farbige Gestalten auf weißem Untergrund die Decken der Galerien überziehen. Dort werden u.a. lebensphilosophische Themen, wie die Jahreszeiten, die Vergänglichkeit, die materielle Welt in all ihrer Vielfalt gezeigt. Diese interessante Dekoration reizte sie künstlerisch. Nicht nur wegen der geometrischen Aufteilung der Decken und der sich sich daraus ergebenden gespiegelten Malereien, entdeckte sie Parallelen zum eigenen Werk. Auch inhaltliche Positionen wurden deutlich.

Das brachte Gaby Ludwig auf die Idee, ihre seit dem Jahr 2011 ausgearbeitete und stetig weiter entwickelte Technik der Kohlezeichnung mit farbiger Pastellkreide zu kombinieren und unter der Decke anzubringen. Sie faltet ihre nicht fixierten Kohlezeichnungen und nutzt den durch Faltung und Pressung entstehenden Abdruck als Teil des Gesamtwerkes mit. Diese besondere Technik folgt einem klaren konzeptionellen Ansatz und ist aus der bewussten und intensiven Beschäftigung mit dem Thema „Zeit“ entstanden. Zunächst meist spiegelbildlich genutzt, über die Jahre weiterentwickelt und verändert, hat sie zu neuer Ausdrucksform gefunden und begibt sich inhaltlich in die nächste Dimension. Endlose Tiefen und Verwebungen werden sichtbar.

Gaby Ludwig erhielt hierfür das Stipendium „Auf geht ́s“ des Landes NRW 2020.

In HEAVEN ON EARTH nutz Gaby Ludwig ihre Technik zum ersten Mal als Raumgreifende Installation. Die 70 x 100 cm großen Dorée-Papier Bögen wurden bezeichnet, gefaltet, aufeinander gelegt und gepresst. Sie spiegeln sich von oben nach unten, von links nach rechts. Da die erste Zeichnung für die dritte und vierte Zeichnung benutzt wird und die Dritte für die Vierte etc., entwickelt sich das Thema sukzessive, sodass eine Generationenfolge entsteht. Es entstanden 6 Zeichnungen auf 12 Blättern, die insgesamt eine Länge von 4,20 m und eine Breite von 2,00 m ergeben. Sie sind auf Holzrahmen angebracht und hängen, sich teilweise überlappend, unter der Decke.

BetrachterInnen müssen so nach oben blicken und werden zu einem Perspektivwechsel gezwungen. Eine neue Sichtweise wird herausgefordert und Raum wird auf eine neue Art sichtbar. Dadurch wird Raum zum Vorschein gebracht: „ihm wird Erscheinung gestattet“. (Thartang Tulku). Schon im Barock wurden die Kuppeln der Kirchen mit prächtigen Gemälden ausgestattet um durch den Blick in den Himmel die Gläubigen zu inspirieren. Man war sich der bewusstseinsverändernden Wirkung bewusst. Dadurch, dass die Zeichnungen Gaby Ludwigs nicht direkt auf die Wand aufgebracht sind, sondern auf Blättern, die lose unter der Decke hängen, wird der luzide Eindruck noch verstärkt.

Durch die über Jahre hinweg erprobte Technik des Faltens und Abdrückens entstehen auch immer weniger sichtbare Abdrücke der Figuren und Elemente. Die schwebenden Gestalten, umgeben von farbigen Punkten tauchen auf und verschwinden, mehrfach gespiegelt, im Untergrund. Es ist „eine Bewegung durch verschiedene Momente“ (Hegel). Die farbigen, leuchtenden Punkte werden im tibetischen „Thigles“ genannt und meinen damit farbige Energieträger der feinsten wahrnehmbaren Substanz.

Schwebende Gestalten, umgeben von farbigen Punkten tauchen auf und verschwinden gleichsam im Raum. Sie sind Reflexionen ihrer selbst. Aus dem weißen Grund des Papiers erscheinen Wesen, werden sichtbar und verflüchtigen sich immer mehr. Die Technik des Abpausens thematisiert ihre gegenseitige Bedingtheit, denn Nichts existiert ohne ein Anderes, alles wirkt in anderes hinein. Und so hängt alles mit allem zusammen, aber letztendlich bezieht sich alles auf sich selbst. Alles geht vom Zentrum des „cogito“ „ich denke, also bin ich“, wie Descartes in seinen Meditationen formuliert, aus. Das ist der Anfang von dem die Sphäre des Seins in ihrer Mannigfaltigkeit erscheint. In Gaby Ludwigs Installation ist die erste Zeichnung das „cogito“, weitere Elemente kommen hinzu, bringen Fülle, Präsenz und Vielfalt zum Erscheinen.

Aus dem leeren Raum wird durch Reflexion, also durch das Denken das Wesen, oder wie Hegel es nennt: Wesenheit. Er bezeichnet das Wesen als unendliche Rückkehr in sich selbst (Hegel, Logik, Teil 2). Was zunächst reine Identität ist, erscheint durch Verschiedenheit und geht wieder in seinen Grund zurück. Sein ist, wie wir seit Kant wissen, nichts als Schein, nämlich Erscheinung, und der Schein ist unmittelbares Verschwinden.

Östliche und westliche Philosophie begegnen sich in Gaby Ludwigs Installation HEAVEN ON EARTH. Eine Idee wird sichtbar, begreifbar, mit den Sinnen erfahrbar und lässt uns, wenn wir offen dafür sind, erkennen wie wir mit unseren Sinnen die Welt erschaffen. Substanz wird durch unsere Sinne und das Denken zur festen, scheinbar undurchdringbaren Materie. BetrachterInnen der Installation von Gaby Ludwig können mit Offenheit erfühlen, dass „Dinge als Erscheinung Raum sind und Raum in den Dingen erscheint“. Denn eigentlich ist Raum unerkennbar und trotzdem für das Erkennbare essentiell. (Thartang Tulku).

Es ist schwer zu erfassen, dass der Raum nicht nur leer ist, sondern alle Qualitäten in sich trägt. Der Blick nach oben auf die schwebenden Figuren der Installation Gaby Ludwigs ermöglicht es uns vielleicht, die Sphäre des Seins, die man durch Denken nicht erkennen kann, intuitiv zu erahnen und die Welt mit ihrem ganzen mannigfaltigen Reichtum als Erscheinung zu erfahren.

Frances de Schrevel, Kunsthistorikerin M.A. im Juni 2021

HEAVEN ON EARTH
6/2021, Gesamt-Übersicht der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 12 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, Gesamtformat: 420 x 200 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 1A und 1B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 2A und 2B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 3A und 3B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 4A und 4B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 5A und 5B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
HEAVEN ON EARTH

2021, Zeichnung 6A und 6B der Installation
Pastell und Kohle auf Dorée Papier, 2 Blätter ´a 70 x 100 cm auf Holz gespannt, zusammen: 140 x 100 cm
Für die Fertigung der Installation HEAVEN ON EARTH erhielt Gaby Ludwig das NRW-Stipendium „Auf geht´s I“
 
Fotos der Arbeiten: Rendel Freude
Foto: Lisa Beutin, 7/2021